Medienkompetenz statt pauschaler Smartphone-Verbote

27. August 2025

Logos von GMK, DKHW; Bundeselternrat, D64

Sehr geehrte Mitglieder der Kultusministerkonferenz,
sehr geehrte bildungspolitische Entscheidungsträger:innen in Bund und Ländern,
sehr geehrte Öffentlichkeit,

Hinweis: Dieser Offene Brief bezieht sich ausdrücklich auf die Diskussion um ein pauschales Smartphone-Verbot an Schulen. Die parallel geführte Debatte über Altersverifikationen auf Plattformen und den gesetzlichen Jugendmedienschutz ist davon getrennt zu betrachten und nicht Gegenstand dieses Schreibens. Unser Fokus liegt auf pädagogischer Verantwortung und Bildung im schulischen Kontext.

Die Diskussion über die Nutzung digitaler Geräte – insbesondere privater Smartphones – an Schulen wird bundesweit mit großer Leidenschaft geführt. Immer wieder wird ein pauschales Smartphone-Verbot ins Spiel gebracht – meist in der Hoffnung, Lernprozesse zu verbessern, Ablenkungen zu reduzieren oder sozialen Druck zu mindern. Diese Sorgen nehmen wir ernst. Doch die digital geprägte Welt stellt uns alle vor Herausforderungen, die nicht nur technischer, sondern vor allem pädagogischer und gesellschaftlicher Natur sind. Genau deshalb sollte die Debatte nicht über Verbote geführt werden, sondern über Bildung, Teilhabe und Verantwortung.

Schule als Lernort in der digitalen Gesellschaft

Schulen sollen junge Menschen auf ein Leben in einer digitalen Gesellschaft vorbereiten. Medienkompetenz ist dabei keine „Zusatzqualifikation“, sondern eine elementare Schlüsselkompetenz in einer digitalisierten Welt und zudem zentraler Bestandteil demokratischer Bildung. Nur wer Informationen einordnen, Algorithmen hinterfragen und eigene Beiträge verantwortungsvoll veröffentlichen kann, ist befähigt zur Teilhabe. Pauschale Smartphone-Verbote stehen diesem Bildungsauftrag entgegen. Sie verhindern Erfahrungsräume, in denen Kinder und Jugendliche lernen, mit Ablenkung, digitalem Stress und Online-Kommunikation umzugehen.

Pädagogisch verantwortete Regelungen statt Verbote – Schüler:innen ernsthaft beteiligen

Wir plädieren für klare, vor Ort ausgehandelte Regelungen zur Nutzung digitaler Geräte – entwickelt gemeinsam mit Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften. Solche partizipativen Prozesse stärken demokratische Bildung. Jugendliche erleben, wie Regeln entstehen, übernehmen Verantwortung und lernen, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse aktiv mitzugestalten.

Wenn über Regeln zur schulischen Mediennutzung gesprochen wird, müssen diejenigen gehört werden, die es unmittelbar betrifft: die Schüler:innen. Sie sind nicht nur Adressat:innen von Bildungsmaßnahmen, sondern aktiv Beteiligte einer digitalen Gesellschaft. Ihre Perspektiven und Erfahrungen sind unverzichtbar, um tragfähige und gerechte Lösungen zu entwickeln.

Wie dies gelingen kann, zeigt ein Beispiel aus der Gemeinschaftsschule Nortorf. Dort wurden in Absprache mit den Schüler:innen verschiedene Ansätze erprobt – vom vollständigen Handyverbot bis hin zu bewusst eingeführten handyfreien Tagen. Letztere wurden nicht nur akzeptiert, sondern als Lernimpuls genutzt – Lehrkräfte griffen die Erfahrungen im Unterricht auf, was zu einem konstruktiven Austausch und einem verbesserten Schulklima führte.

Altersdifferenzierte Regelungen können dabei sinnvoll sein: Während in höheren Jahrgängen stärker auf Eigenverantwortung gesetzt werden kann, brauchen jüngere Schüler:innen oft mehr Orientierung und klare Rahmen. Eine solche gestufte Einführung – gemeinsam entwickelt mit der Schulgemeinschaft – kann Sicherheit bieten, ohne Teilhabe grundsätzlich zu beschneiden.

Unabhängig von konkreten Beteiligungsformaten gilt für uns: Schulische Medienbildung darf nicht über die Köpfe der Schüler:innen hinweg entschieden werden.

Verantwortung gemeinsam gestalten

Auch viele Erwachsene kämpfen mit digitaler Ablenkung und Informationsflut. Das sollte offen kommuniziert werden und die Grundlage für gemeinsame Aushandlungsprozesse bilden. Von Kindern und Jugendlichen ein medienfreies Verhalten zu erwarten, das Erwachsene selbst nicht konsequent vorleben, ist weder zielführend noch glaubwürdig. Regeln werden besser akzeptiert und befolgt, wenn sie gemeinsam entwickelt und von allen vorgelebt werden.

Medienkompetenz entsteht nicht durch Verbote, sondern durch Einübung, Reflexion und pädagogische Begleitung. Schule muss ein Ort sein, an dem junge Menschen Verantwortung übernehmen und digitale Selbstregulierung entwickeln können – nicht durch Ausschluss, sondern durch Zutrauen.

Viele Eltern empfinden die frühe Smartphone-Nutzung ihrer Kinder als Überforderung – nicht zuletzt, weil sie kaum echte Wahlfreiheit haben. Wenn Schule hier keinen klaren, pädagogisch begleiteten Rahmen setzt, werden Eltern mit dieser Verantwortung allein gelassen. Das schafft Unsicherheit, verstärkt sozialen Druck und vertieft bestehende Ungleichheiten.

Ungleichheiten abbauen, nicht verschärfen

Ein generelles Verbot privater Endgeräte trifft nicht alle gleich. Viele Kinder aus benachteiligten Familien verfügen zu Hause weder über passende Infrastruktur noch über pädagogische Unterstützung. Für sie ist die Schule oft der einzige Ort zur Förderung ihrer digitalen Medienkompetenz. Ein Verbot würde diese Jugendlichen von wichtigen Lern- und Teilhabechancen ausschließen.

Auch bei Schüler:innen mit Sprachbarrieren, Lernschwierigkeiten oder anderen Beeinträchtigungen enthalten ihre vertrauten Endgeräte oft individuell angepasste Assistenzsysteme. Diese Bedarfe lassen sich nicht pauschal durch schulische Leihgeräte abdecken.

Medienbildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Digitale Überforderung, etwa durch Informationsflut und den Mangel an digitaler Selbstbestimmung, betrifft nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Wir brauchen daher eine nationale Bildungsoffensive, die Medien- und Demokratiebildung zusammen denkt. Lehrkräfte müssen fortgebildet, Partner:innen aus der außerschulischen Medienpädagogik eingebunden und digitale Infrastruktur verlässlich bereitgestellt werden.

Unsere gemeinsamen Forderungen

  • Keine pauschalen Smartphone-Verbote an Schulen – sondern pädagogisch begründete, kontextabhängige Regelungen.
  • Verankerung von Medienkompetenz und Demokratiebildung als Querschnittsaufgabe im Bildungswesen.
  • Beteiligung von Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften an der Gestaltung schulischer Mediennutzung.
  • Investitionen in Infrastruktur, Fortbildung und Kooperationen mit der außerschulischen Medienpädagogik.
  • Verpflichtung politischer Akteur:innen, gemeinsam mit Bildungsakteur:innen einen zeitgemäßen, demokratischen Rahmen für Medienbildung zu entwickeln.

Unser Anliegen

Wir laden alle Beteiligten ein, die Debatte zu versachlichen und gemeinsam an einer inklusiven, demokratischen und gerechten Bildung in der digitalen Welt zu arbeiten. Mediennutzung ist kein Störfaktor – sondern Teil der Lebenswelt junger Menschen. Schule darf sich dieser Realität nicht entziehen, sondern muss ein Ort sein, an dem sie aufgegriffen, reflektiert und gemeinsam gestaltet wird.

Im Namen von:

Bundeselternrat
D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur
Deutsches Kinderhilfswerk

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