Regulieren statt verbieten: Smartphonenutzung an Schulen pädagogisch gestalten

Positionspapier der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e. V. (GMK) und des Verbands der Sonderpädagogik Landesverband Schleswig-Holstein e. V. (vds SH) zur Regulierung des Einsatzes von Smartphones in Schulen

Logo des Verbands der Sonderpädagogik Landesverband Schleswig-Holstein e. V. (vds SH)


Position von GMK und vds SH: Differenzierte Nutzungskonzepte statt pauschales Smartphoneverbot

Smartphones sind aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Sie dienen der Kommunikation, Information, Unterhaltung, Orientierung und auch dem Lernen. Gleichzeitig mehren sich in Politik und Gesellschaft die Stimmen, die angesichts wachsender Herausforderungen im Schulalltag ein generelles Smartphoneverbot als Handlungsstrategie vorschlagen. Die Hoffnung dahinter ist nachvollziehbar: mehr Ruhe im Klassenzimmer, stärkere Konzentration, bessere Lernleistungen, intensiveres soziales Miteinander.

Die GMK und der vds SH verfolgen diese Diskussion mit großem Interesse, zugleich aber mit wachsender Sorge, wenn sie sich ausschließlich auf Verbote verengt. Aus medien- und sonderpädagogischer Sicht bedarf es differenzierterer Antworten, die den vielfältigen Bedingungen des schulischen Miteinanders, den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen sowie dem Auftrag zeitgemäßer Bildung in einer zunehmend durch digitale Medien geprägten Gesellschaft gerecht werden. Die Vorstellung, komplexe pädagogische und soziale Herausforderungen könnten durch ein einfaches Technikverbot gelöst werden, halten wir für nicht zielführend. Statt auf pauschale Einschränkungen zu setzen, plädieren wir für pädagogisch fundierte, bedarfsgerechte und mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam entwickelte Regulierungsmaßnahmen, die die Förderung von Medienkompetenz, Medienbildung und Partizipation in den Mittelpunkt stellen.

Die Forderungen in Kürze:

  1. Partizipation stärken: Schüler*innen an Medienregeln beteiligen
  2. Medienbildung verankern: Medienkompetenzförderung in alle Lehrpläne
  3. Schulen ausstatten: Medienpädagog*innen im Kollegium etablieren
  4. Lehrkräfte qualifizieren: Medienpädagogik in Aus- und Fortbildung integrieren
  5. Situativ regeln: Gezielte und bewusste Smartphonenutzung ermöglichen
  6. Inklusion fördern: Vertraute Geräte für Teilhabe einsetzen
  7. Lebensweltorientierung gewährleisten: Smartphones als integralen Alltagsbestandteil anerkennen
  8. Eltern einbeziehen: Medienbildung gemeinsam mit Erziehenden gestalten
  9. Unterschiede berücksichtigen: Regelungen an jede Schule anpassen

Problemlagen und pädagogische Perspektiven

Die Herausforderungen durch private Smartphonenutzung im schulischen Alltag sind real: Ablenkung im Unterricht, Konflikte in digitalen Kommunikationskanälen, Cybermobbing, Datenschutzfragen oder der Zugang zu nicht altersgemäßen, teils auch rechtswidrigen Inhalten. Dennoch greift ein pauschales Verbot zu kurz. Es fokussiert auf das Gerät als Ursache, statt die tieferliegenden pädagogischen und sozialen Faktoren in den Blick zu nehmen. Smartphones sind integraler Bestandteil der Alltagskultur unserer Gesellschaft, gerade auch für junge Menschen. Sie fördern soziale Beziehungen durch Kommunikation und Vernetzung in Peergroups. Über Chats, Fotos und Profile ermöglichen sie Ausdrucksformen von Identität, etwa durch geteilte Interessen oder Selbstdarstellung. Zugleich bieten Smartphones Rückzugsräume, indem sie einen privaten Bereich schaffen. Viele Problemstellungen im digitalen Raum, wie z. B. konflikthafte Gruppendynamiken, belastende Nachrichten oder exzessiver Medienkonsum, bleiben im schulischen Setting oft unsichtbar. Gerade weil sie nicht unmittelbar im Unterricht auffallen, bedürfen sie einer sensiblen pädagogischen Begleitung, nicht einer pauschalen Verdrängung durch Verbote. Ein generelles Verbot blendet zudem soziale Unterschiede aus: Während manche Schüler*innen zu Hause mit ihren digitalen Geräten eng begleitet werden, fehlt diese Unterstützung bei anderen jungen Menschen. Fällt bei ihnen auch Schule als Unterstützungsraum weg, sind sie bei der Bewältigung von Schwierigkeiten im Kontext ihrer Smartphonenutzung noch stärker auf sich allein gestellt. Aus inklusionspädagogischer Sicht sind pauschale Ausschlüsse ebenfalls kritisch zu sehen, da viele assistive Technologien über individuell angepasste Smartphones verfügbar sind.

Zudem macht die digitale Transformation auch vor Grundschulkindern nicht halt. Zwar besitzen sie seltener ein eigenes Smartphone als Jugendliche, sind aber dennoch zunehmend in digitale Medienwelten eingebunden, sei es durch die Nutzung von Familiengeräten oder über die digitale Alltagsrealität im sozialen Umfeld. Sie erleben digitale Kommunikationsformen und soziale Dynamiken, die pädagogische Begleitung erfordern. Die Schule bietet einen geschützten Raum, in dem Kinder bedarfsgerecht unterstützt werden können, um die oben genannten Herausforderungen zu bewältigen. Die frühzeitige schulische Förderung von Medienkompetenz, flankiert durch die aktive Einbindung von Erziehenden, ist entscheidend, um Kinder zu befähigen, digitale Medien von Anfang an kompetent zu nutzen. Dabei ist es zentral, dass medienpädagogische Angebote adaptiv gestaltet, d. h. an Alter bzw. Entwicklungsstand angepasst und auf die unterschiedlichen Bedarfe von Kindern abgestimmt werden.

Forderungen zur Gestaltung einer verantwortungsvollen Smartphonenutzung

Die GMK und der vds SH treten für eine schulische Medienkultur ein, die auf klaren, gemeinsam entwickelten Medienregeln beruht. Ziel ist ein reflektierter, verantwortungsvoller Umgang mit digitalen Geräten, ohne pauschale Ausschlüsse. Dafür braucht es Folgendes:

  1. Partizipation stärken: Schüler*innen sollen aktiv an der Entwicklung von Mediennutzungsregeln mitwirken. Dies stärkt demokratische Handlungskompetenz und fördert Eigenverantwortung im Umgang mit digitalen Medien.
  2. Medienbildung verankern: Der kritische und kreative Umgang mit digitalen Medien muss verbindlicher Bestandteil des Schulalltags sein. Themen wie Datenschutz, digitale Kommunikation, Informationskompetenz, Jugendmedienschutz und Mediengestaltung gehören fest ins Curriculum.
  3. Schulen personell besser ausstatten: Schulen benötigen flächendeckend medienpädagogische Fachkräfte als zentrale Anlaufstellen für medienbezogene Aufgaben und Fragestellungen. In multiprofessionellen Teams unterstützen sie u. a. bei der Entwicklung und Umsetzung medienpädagogischer Konzepte sowie bei differenzierten schulinternen Regelungen.
  4. Lehrkräfte gezielt qualifizieren: Sicheres pädagogisches Handeln im digitalen Raum setzt fundierte Kenntnisse voraus. Dafür müssen Medienpädagogik und Mediendidaktik verbindliche Bestandteile aller Phasen der Lehrkräftebildung sein.
  5. Situative Regelungen entwickeln: Smartphones sollten nicht nur gezielt im Unterricht eingesetzt, sondern auch als Ausgangspunkt medienpädagogischer Reflexion verstanden werden. Klare Bereiche und Zeitfenster für Nutzung oder bewussten Verzicht bieten Orientierung und Freiräume für Selbststeuerung und soziales Miteinander.
  6. Inklusive Lösungen fördern: Für viele Schüler*innen sind Smartphones zentrale Lern- und Assistenzmittel, weil sie Kontinuität zwischen Schule und Alltag ermöglichen. Die Nutzung vertrauter Geräte unterstützt Selbstständigkeit und Teilhabe.
  7. Lebensweltorientierung gewährleisten: Smartphones als alltägliche Begleiter bieten direkte Anknüpfungspunkte an die Lebensrealitäten der Schüler*innen und ermöglichen ihnen kulturelle Teilhabe. Sie eröffnen individuelle Wege zu Musik, Sprache, Bildern und Wissen, dienen als Brücke zu kultureller Bildung und kreativem Ausdruck.
  8. Erziehende einbinden: Eine nachhaltige Medienstrategie gelingt nur im Dialog mit Erziehungsberechtigten. Aufklärung über Chancen und Risiken digitaler Medien, klare Kommunikationswege und gemeinsame Absprachen stärken die Verantwortungsgemeinschaft.
  9. Unterschiedliche Schulkontexte berücksichtigen: Jede Schule hat eigene Bedingungen. Deswegen sind individuell angepasste Regelungen notwendig, die gemeinsam von Schüler*innen, Pädagog*innen und Eltern entwickelt und umgesetzt werden.

Schlussfolgerung

Smartphonenutzung im Schulkontext wirft vielfältige Fragen auf, die nach klaren pädagogischen Antworten verlangen. Ein generelles Verbot erfasst nicht die Komplexität der Situation und stellt keine angemessene Lösung dar. Es verlagert Probleme in den außerschulischen Raum und verhindert die Thematisierung und konstruktive Bearbeitung im geschützten Rahmen. Ablenkung lässt sich nicht allein durch Abwesenheit von Technik verhindern, sondern durch gemeinsam getragene Regeln und eine lernförderliche Schulkultur. Konflikte in digitalen Räumen dürfen nicht ausgeblendet, sondern müssen pädagogisch begleitet und aufgearbeitet werden. Auch Überforderung oder exzessive Nutzung erfordern nicht Verdrängung, sondern Aufklärung, Reflexion und Unterstützung. Ein Smartphoneverbot verhindert vielfach die Chance auf eine reflektierte Medienpraxis, gerade für diejenigen, die außerhalb der Schule wenig Orientierung erhalten.

Die GMK und der vds SH fordern deshalb, Medienbildung in allen Schulen zu etablieren, digitale Teilhabe chancengerecht zu gestalten und junge Menschen zu einem verantwortungsvollen, selbstbestimmten, kritischen und kreativen Umgang mit digitalen Medien zu befähigen.

Schule braucht Regeln und pädagogische Konzepte, kein pauschales Smartphoneverbot!

Dieses Positionspapier wurde in enger Zusammenarbeit zwischen der GMK und dem vds SH erarbeitet. Die gemeinsame Stellungnahme vereint medienpädagogische und sonderpädagogische Perspektiven auf eine schulische Mediennutzung am Beispiel der Debatte um ein Smartphoneverbot.

Autor*innen: Lea Schulz, Jessica Euler, Rüdiger Fries, Friederike von Gross, Rebekka Haubold, Daniel Roß, André Weßel

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